Sie sehen aber gar nicht gut aus! by Strzoda Christian
Autor:Strzoda, Christian [Strzoda, Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Münchner Verlagsgruppe GmbH
veröffentlicht: 2012-07-26T22:00:00+00:00
Kurz nach vier
Der große dicke Mann sollte sich an diesem Tag seinen Taten stellen. Er fühlte sich auf jeden Fall ungerecht behandelt. Dass der Dicke mit den grau melierten, ungepflegten Haaren lediglich eine Bewährungsstrafe bekommen würde, sollte für ihn keinen Unterschied machen. Er wollte einfach nicht schon wieder für etwas geradestehen, was er nach seiner ganz persönlichen Ansicht nicht zu verantworten hatte. Schuld waren für ihn immer nur die anderen.
Das goldene Los hatte er die letzten Jahre nicht gezogen und in einer schäbigen Wohnung am Stadtrand vor sich hingelebt. Als ihm der Schlaganfall die Möglichkeit genommen hatte, für sich selbst zu sorgen, fing er an zu betrügen. Irgendwann war ihm jemand auf die Schliche gekommen und hatte ihn hingehängt. Er hätte für seine Angestellten keine Sozialbeiträge bezahlt, hieß es. Der Hass des dicken Mannes auf die Justiz war unermesslich. Als er und seine Anwältin vor dem Prozess im Café saßen, konnte er die Wut in seiner Stimme kaum bändigen, und die Venen an der Schläfe seines roten Kopfes traten deutlich hervor.
»Beruhigen Sie sich. Wir holen das Beste für Sie heraus«, beteuerte seine Anwältin. Das Beste war ihm aber nicht gut genug. Seinen Plan hatte er auch längst gefasst.
Wo auch immer er eine belgische Armeepistole ohne Waffenschein herbekommen hatte – der dicke Mann besaß eine. Er wirkte aufgrund eines Sprachfehlers nicht intelligent, wusste jedoch, dass das Kaliber 6,35 Millimeter das Beste für seine Zwecke war. Obwohl die illegale Waffe seine Jacke auf einer Seite nach unten zog, fiel dies niemandem auf.
Kurz nach 16 Uhr. »Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte wird wegen Betrugs und Unterschlagung von Sozialbeiträgen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt«, verlas der Richter in monotonem Amtsdeutsch, während der Staatsanwalt ins Nichts sah. Vielleicht dachte er gerade daran, was es wohl zu Hause zum Abendessen geben würde. Routine. Vermutlich war der Ausgang des Prozesses bereits vorher klar, weil die Sachlage unumstritten war. Der Verurteilte hatte nur noch einige Sekunden, um seinen Entschluss nochmals zu überdenken und den Gerichtssaal als freier Mann zu verlassen. Aber diesmal würde ihm niemand seinen Willen streitig machen. Niemand würde mehr daran zweifeln, dass er etwas durchziehen konnte. Diesmal würde er es allen zeigen und gewinnen.
16.08 Uhr. Völlig unvermittelt zog der unbewegliche Dicke die Knarre und visierte den Richter an. Schüsse knallten durch den Gebäudekomplex, Patronenhülsen klimperten auf den Steinboden. Die vor dem Saal stehenden Zeugen hatten zunächst gedacht, dass etwas umgestürzt sei. Erst als es mehrmals in Folge krachte, war klar: Jemand musste geschossen haben.
Der Richter konnte sich gerade noch durch einen Sprung hinter den hohen Richtertisch retten. Doch der Staatsanwalt hatte Pech – er hatte keine Deckung vor sich. Ein Projektil durchdrang sein Handgelenk und bahnte sich einen Weg in den rechten Unterbauch. Der Mann beugte sich vor Schmerzen nach vorne. Die zweite Kugel schlug unterhalb des linken Schlüsselbeines ein, das Projektil schwamm durch das Körpergewebe hindurch wie nichts. Der Staatsanwalt fiel.
An diesem Tag war ich krank und lag von einer Grippe niedergestreckt zu Hause im Bett.
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